Zwei Gen-Sinnesforscher erhalten den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Sie haben die Rezeptoren für Druck und Temperaturempfinden identifiziert und dafür gesorgt, dass wir heute wissen, wie diese Reize in elektrische Signale übersetzt werden.
Menschen besitzen die Fähigkeit, sich in ihrer Umgebung zu orientieren und auf Reize zu reagieren. Dafür müssen sie Licht, Geräusche, Gerüche, aber auch Hitze, Kälte und Berührungen wahrnehmen und bewerten. Das setzt voraus, dass diese Empfindungen von einem Rezeptor registriert, in ein elektrisches Signal umgewandelt und von den Nervenzellen an das Gehirn weitergegeben werden. Erst dann können diese Empfindungen vom Gehirn bewertet und beantwortet werden. Die diesjährigen Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin haben die Rezeptoren für Druck und Temperatur identifiziert und dafür gesorgt, dass wir heute wissen, wie diese Reize in elektrische Signale übersetzt werden und welche Rolle Temperatur- und Drucksensoren bei Krankheiten wie Schmerz und Bluthochdruck spielen.
Der Amerikaner David Julius erhält den Nobelpreis für die Entdeckung eines Temperatursensors. Für die Fahndung nutzte er das in Chilischoten vorhandene Capsaicin, das einen starken Schmerz in Form eines heißen Brennens im Mund hinterlässt. Der in Beirut geborene und in die USA immigrierte Biochemiker Ardem Patapoutian erhält die Auszeichnung für eine Klasse von Sensoren, die auf mechanische Reize in der Haut und in den inneren Organen wie Lunge und Harnblase reagieren. Er benutzte für seine Suche kultivierte Zellen, die auf Druck reagieren.
Welche Rolle Druck und Temperatur bei der Wahrnehmung der Umgebung spielen, kann jeder nachvollziehen, der einmal an einem lauen Sommermorgen barfuß durch feuchtes Gras gelaufen ist. Zusammen ergeben beide Reize ein komplexes Bild von der frischen Kühle des Morgens, der Feuchtigkeit des Grases, der sanften Berührung der Grashalme und einen ersten Eindruck von der heraufziehenden Hitze des Tages. Ohne die Arbeiten von Julius und Patapoutian wären die biochemischen und elektrischen Prozesse hinter dieser komplexen Wahrnehmung der Umgebung immer noch eine Black Box.
David Julius von der University of California erkannte in den 1990er Jahren, dass Capsaicin der Schlüssel zum Verständnis der Temperaturwahrnehmung ist. Damals war bekannt, dass die Substanz Nervenzellen aktiviert und ein Schmerzempfinden auslöst, allerdings wusste niemand, wie der Capsaicin-Rezeptor aussieht. Julius legte eine Bibliothek mit unzähligen Genen an, die durch Schmerz, Hitze und Berührung in den Nervenzellen aktiviert werden. Unter diesen Genen – so seine Idee – müsste auch das Gen für den Capsaicin-Rezeptor sein. Um das herauszufinden, transferierte er alle Gene in Zellkultur-Zellen, die normalerweise nicht auf die Substanz reagieren. Er hoffte, dass die Zelle, die das gesuchte Rezeptor-Gen enthält, auf Capsaicin reagiert und daran zu erkennen ist. Die weiteren Analysen zeigten dann, dass der Rezeptor für Capsaicin und Hitze ein neuer Ionenkanal ist, der das elektrische Signal aufbaut und den Namen TRPV1 erhielt.
Der Drucksensor wurde von Ardem Patapoutian entdeckt. Er benutze dafür eine Zelllinie, die ein elektrisches Signal abgibt, wenn einzelne Zellen mit einer Mikropipette traktiert werden. Patapoutian entdeckte 72 Gene, die als Druckrezeptoren in Frage kamen. Um das richtige Gen zu finden, inaktivierte er eines nach dem anderen und prüfte, ob die Zellen dadurch ihre Fähigkeit verloren hatten, auf Berührung oder Druck mit einem elektrischen Signal zu reagieren. Am Ende fand er den richtigen Ionenkanal. Dieser erhielt den Namen Piezo1 nach dem griechischen Wort für Druck. Bald wurde ein zweiter Ionenkanal entdeckt. Beide werden durch Berührung der Zellmembran aktiviert. Piezo2 ist nicht nur für den Tastsinn wichtig, sondern spielt auch eine große Rolle bei der Wahrnehmung unserer Position und Bewegung im Raum. Piezo1 und Piezo2 sind auch bei physiologischen Prozessen aktiv, bei denen Druck eine Rolle spielt, beim Blutdruck etwa, bei der Atmung und der Entleerung der Harnblase. Die Entdeckungen der beiden sind auch für die Medizin bedeutsam. Hitze etwa hat eine große Schnittmenge mit Schmerz.
Quelle:
F.A.Z.